Katsche 

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Wehe, wenn Schwarzenbeck schießt...          

Er heißt Hans Georg. Aber niemand nennt ihn so: Alle sagen "Katsche" Schwarzenbeck. Der Mann, der Bayern München 1974 gegen Athletico Madrid mit einem Traumtor ins Wiederholungsspiel schoss.

Wir kennen Leute, die sich zu ihrem 50. Geburtstag Schloss Hohenschwangau mieten, 50 gesellschaftlich erstklassige Freunde einladen, und abends schwebt Udo Jürgens mit dem Hubschrauber auf dem Schlosshof ein und singt im Kerzenschein "Es wird Nacht Senorita". "Katsche" ist anders. "Katsche" hat selbst mit den rundesten Geburtstagen seine Nöte. Das war schon damals bei Helmut Schön so. Als der Ex-Bundestrainer noch unter den Lebenden weilte und seinen Siebzigsten feierte, bekam der "Katsche" einen Anruf vom Beckenbauer, und der Franz hat ihm ausgerichtet, dass der Lange mit allen Weltmeistern von '74 feiern will, aber der "Katsche" hat nur traurig abgewinkt. "Woaßt, Franz, i kann ned weg, s'is Schulanfang, do muaß i in mei'm Laden sein." Wenn die Kinder mit ihren Ranzen kamen und neue Hefte wollten, und Spitzer und Radiergummi, musste der "Katsche" da sein, in seinem Schreibwarenladen, da konnte der Schön noch so sehr seinen Siebzigsten haben.

      

Selbst seinen eigenen Fünfzigsten hat er im Laden gefeiert. Der befindet sich, zwischen Frisör und Bäcker, in der Ohlmüllerstraße in München-Au. Papier- und Bürobedarf. Zeitungen, Toto und Lotto. Aber jetzt müssen wir "Katsche" erst 'mal richtig vorstellen, für die Jüngeren. Schwarzenbeck heißt er. Hans-Georg. Hans-Georg sagt aber keiner, auch nicht Hanse oder Schorsch. "I bin der "Katsche", hat er damals gesagt, "und du?" Lang her. WM in Argentinien, anno '78. Ascochinga hieß der Golfklub in der Pampa, in dem Schöns Titelverteidiger und die Journalisten zusammen hausten, und "Katsche", Weltmeister '74, Stopper, 44 Länderspiele, war nur noch Ersatz und ein bissel unausgelastet, und so kam es, dass er fragte: "Kannscht karteln?" Unverzüglich hat er dem Schreiber dieser Zeilen das Schafkopfen beigebracht, und so haben wir jene aus deutscher Sicht etwas trostlose WM gut überstanden, in der Cafe-Bar von Ascochinga. Als Manndecker war "Katsche" humorlos - als Mensch dagegen herzensgut, beim Karteln blieb das gestreckte Bein brav unterm Tisch, da gab's keine Grätsche. Dabei war er ein Star. Allerdings der stillste der Welt. Er war so still, dass die Verteidiger von Atletico Madrid einmal gar nicht gemerkt haben, wie er sich über die Mittellinie schlich.

An jenem wichtigen Abend des 17. Mai 1974 geht es im Heyselstadion in Brüssel um den Europacup der Landesmeister, die Spanier führen 1:0, und weil ihr Strafraum in der Schlussminute der Verlängerung rappelvoll ist, schiebt der ratlose Beckenbauer den Ball halt hinüber zum "Katsche". Dem fällt mit soviel Verantwortung am Fuß nun überhaupt nichts mehr ein. Also überbrückt er in seiner Not die 30 Meter zum Tor halt mit einem Verzweiflungsschuss und erinnert sich hinterher: "Der Ball is zwischen alle durch, und dann war er drin." Als die Journaille auf eine etwas heldenhaftere Schilderung seines Wunderschusses drängt, bittet "Katsche" händeringend: "Geh, fragt's halt den Franz."

Der Franz war die Lichtgestalt - der "Katsche" war nur sein Putzer. "Vielleicht", ahnt das Fachblatt "kicker" in puncto Schwarzenbeck, "war er der bescheidenste Nationalspieler, den der deutsche Fußball je hatte." Aber wie an jenem Brüsseler Abend war er sein Geld immer wert. Jede Mark. Schon die 250 Mark plus Prämien, mit denen er 1966 bei den Bayern als Profi anfing - allerdings erst, nachdem er seine Gesellenprüfung als Buchdrucker bestanden hatte. Er war verlässlich, zäh, ein Fels in der Abwehr - in Fachzirkeln gilt er sogar als Erfinder des Trikotzupfens nach Eckbällen. "Nur mit dei'm Balljonglieren", hat der "Katsche" einmal zum Franz gesagt, "wären wir ned Weltmeister g'worden." Oder Europameister. Oder Weltpokalsieger. Oder fünfmal deutscher Meister und dreimal Pokalsieger. Oder dreimal Europas Klubkönige. Dazu hat's auch den "Katsche" gebraucht, speziell damals in Brüssel. Zwei Tage später gewannen die Bayern das Wiederholungsspiel 4:0, und zwei Jahre später hatten sie den Hattrick am Hut: Europacupsieger der Landesmeister 1974, 1975, 1976. "Katsches" goldener Schuss war der Anfang.

       

Als Starschnitt haben die Kids und Teenies von damals sich natürlich trotzdem den Franz übers Bett gehängt, der war das Idol, der war Buchautor ("Einer wie ich"), Suppenkasper ("Knorr in den Teller"), Schlagersänger ("Du allein"), Filmschauspieler ("Libero") - aber vor allem halt Ballzauberer. "Jeden Tag im Training", hat "Katsche" gesagt, "will i vom Franz was abschauen, aber i kriegs ned hin." Statt mit dem Außenrist hat er es dann halt mit seiner Zweikampfhärte zum Kinohelden gebracht - er spielte den Briefträger in der nach keinem Geringeren als ihm selbst benannten Komödie "Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt" (1978). 1981 war dann Schluss. Achillessehne. Da hat er den Schreibwarenladen seiner Tanten übernommen, und gut geht's ihm. Er hat sein Haus in Harlaching, eine intakte Familie, und aus den Kindern ist was geworden. Sporadisch geht er noch ins Stadion, aber bei den Bayern mitmischen? "Da reden so vui mit", pflegt er zu sagen, außerdem ist er immer noch mit der ersten Frau verheiratet, schon deshalb würde er zu den Bayern von heute nicht so recht passen. Manchmal trifft er an der Säbener Straße den Franz und den Sepp und den Gerd und den Uli, wenn er dem das Büromaterial vorbeibringt, das die Bayern bei ihm bestellen. Kurz: Er hat sein Auskommen.

Und vor allem hat er seine Ruhe. Wenn ihn einer fragt, wie das war, an seinem Abend im Brüsseler Heyselstadion, mit dem Schuss seines Lebens, kann es gut sein, dass der Katsche nur abwinkt: "Woaßt eh, wie's is."  

OSKAR BECK

Der "Putzer des Kaisers" hat Geburtstag:

"Katsche" Schwarzenbeck wird 50

München - "Eisenfuß", "Wasserträger" und "Putzer des Kaisers": Am Freitag, seinem 50. Geburtstag, werden die Titel wieder lebendig, die Hans-Georg Schwarzenbeck nie geliebt hat. "Ja mei, die Journalisten haben mich halt so genannt", sagt der 44malige Nationalspieler und ehemalige Vorstopper des FC Bayern München. Zum "Eisenfuß" kam er, "weil ich nicht gerade ein weicher Spieler war". Den "Wasserträger" und "Putzer des Kaisers" verliehen sie ihm, weil er Libero Franz Beckenbauer tatkräftig zur Seite stand - sowohl beim FC Bayern als auch bei Länderspielen. Wie aus Hans-Georg jedoch "Katsche" wurde, weiß niemand. "Das weiß ich selber auch nicht. Der Name war auf einmal da", beteuert Schwarzenbeck.

 Von 1966 bis 1980 spielte der gebürtige Münchner 416mal für den FC Bayern in der Bundesliga und erzielte dabei 21 Tore. Ein Achillessehnenriß, den er sich im August 1979 zugezogen hatte, zwang ihn ein knappes Jahr später, seine Karriere mit 32 Jahren zu beenden. "Das war schon ein bißchen traurig, denn ich hätte gerne weitergespielt."

Bis dahin hatte er alles gewonnen, was es zu gewinnen gab: Europameister 1972, Weltmeister 1974, Weltpokalsieger 1976, fünf Deutsche Meisterschaften sowie drei DFB-Pokalsiege und der Europapokal-Triumph gegen Atletico Madrid. "Der war schon was besonderes". Am 17. Mai 1974 schlugen die Bayern im Landesmeister- Wettbewerb die Spanier in Brüssel mit 4:0 und gewannen erstmals den "wichtigsten Vereinstitel" (Schwarzenbeck). Zwei Tage zuvor hatten die Münchner ein Wiederholungsspiel erzwungen - dank "Katsche" Schwarzenbeck. Der Bayern-Vorstopper erzielte Sekunden vor Schluß mit einem Distanzschuß den fast schon legendären 1:1-Ausgleich.

"Ins Olympiastadion gehe ich noch, aber nicht zu jedem Spiel"

Der Trainer hieß damals Udo Lattek. Er war der dritte in einer Reihe von großen Fußballehrern, die Schwarzenbeck als Profi erlebte. Tschik Cajkowski, Branko Zebec, Dettmar Cramer, Gyula Lorant sowie Pal Csernai. "Sie waren alle wichtig. Ich habe von allen profitiert", sagt der ehemalige Abwehrrecke diplomatisch. Auch auf den derzeitigen Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni läßt Schwarzenbeck nichts kommen: "Der lebt Fußball." Er glaubt nicht, daß die Krise bei seinem Ex-Klub an Verständigungsproblemen liegt. "Zebec sprach auch kein perfektes Deutsch. Wenn ich als Spieler einen Trainer verstehen will, dann verstehe ich ihn."

Kontakt zu den Kollegen von einst hat Schwarzenbeck wenig. "Den Maier Sepp und den Gerd Müller sehe ich, wenn ich mal an der Säbener Straße bin. Und ins Olympiastadion gehe ich schon noch, aber nicht zu jedem Spiel."

"Ich bin eh kein Freund großer Feste und Feiern"

Exakt 11.500 Tage nach seinem ersten Bundesliga-Spiel am 8. Oktober 1966 wird Schwarzenbeck auch am "50." das tun, was er immer tat. "Ich werde am Freitag arbeiten, wie an jedem anderen Tag", sagt er und ergänzt: "Ich bin eh kein Freund großer Feste und Feiern." Seitdem er seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt hat, betreibt er in seiner Heimatstadt ein Schreibwarengeschäft. Zusammen mit seiner Frau Hannelore und den Kindern Martin (24) und Heide (22) lebt der gelernte Buchdrucker im Münchner Vorort Harlaching.

Der Stadt an der Isar ist er immer treu geblieben, genauso dem FC Bayern. "Ja mei, es hat sich halt nie ergeben", lautet seine schlichte Erklärung. "Aber im nachhinein bin ich froh, daß ich nicht gegangen bin. Ich würde alles wieder so machen", bilanziert Schwarzenbeck und schränkt nach einigem Zögern ein: "Das einzige: Bei den Vertragsverhandlungen ein bißchen härter sein."

 

Gedicht für Georg Schwarzenbeck

Zwei Beine, ohne Interesse an Genialität,
vereinfachter Mechanismus, nichts Brasilianisches,
kein Sternenlauf, kein Jubel in den Fußgelenken,
Standbein, Schussbein, nichts für Genießer,
und trotzdem einer, dessen die Menschen,
die ihn spielen sahen, gedenken.

Ein großer Dorn, der stach und dicht hielt,
der die Anstürmenden ersaufen ließ, das Feuer zertrat,
das sie bereit waren zu entfachen.
Nichts da, ich arbeite, ich komme aus der Vorstadt,
ich bin geboren für das Einfache.
Nicht einmal Siege sind es am Ende, die zählen.

Unzuständig für alles Künstlerische!
Kein Dribbling, kein nie gesehener Trick,
stattdessen Luft für neunzig Minuten,
und notfalls für die Verlängerung, wenn die Kollegen Krämpfe quälen.
Merkwürdig, daß so einer, eckig wie eine leer gegessene
Pralinenschachtel, etwas trifft, das rund ist.

Wolf Wondratschek, geboren 1941, veröffentlichte unter anderem »Mara«, 2003 und »Saint Tropez«, 2005